Koffein weckt die Lebensgeister. Es wirkt schnell. Innerhalb kurzer Zeit verteilt es sich über das Blut im ganzen Körper. Auch die HRV steht unter dem Einfluss der milden Stimulanz. Aber nicht nur kurzfristig – in eigenen Studien zeigte sich, dass Koffein auch langfristig positiv auf die HRV wirken kann.
Eigentlich wollte ich nur über einen weiteren Einflussfaktor auf die Herzratenvariabilität (HRV) schreiben: dem Koffein. Neben Alkohol und Nikotin verändert auch Koffein das Messergebnis. Bei meiner Recherche bin ich jedoch auf verschiedene Studien gestoßen, die dem Koffein ganz neue Wege in der Gesundheitsprävention eröffnen. Diese Entdeckung möchte Ihnen im weiteren Verlauf des Beitrags nicht vorenthalten.
Ich habe aber auch viel Verwirrendes und Widersprüchliches zum Thema Koffein gefunden. Einzelne Studien bescheinigen dem Koffein eine positive Wirkung auf die HRV, andere eine negative oder gar keine. Das wissenschaftliche Dilemma wird in der Übersichtsarbeit von Julian König deutlich. Über 68 Arbeiten hat er mit seinen Kollegen gesichtet, 13 davon fließen in seine Gegenüberstellung ein.
Am Ende kann auch er keine eindeutige Aussage über den Einfluss von Koffein auf die HRV treffen. Die Studien waren zu unterschiedlich gestaltet und die Studienergebnisse zeigten sich sehr empfindlich. Ein paar Tendenzen lassen sich jedoch erkennen:
- Dass die Herzfrequenz steigt, ist am besten belegt.
- Der Anstieg der High Frequency (HF) ist eine weitere Erkenntnis des Studienvergleichs. In sechs der 13 Arbeiten wurde eine deutliche Erhöhung beobachtet.
Wenn man sich von dem wissenschaftlichen Durcheinander löst und nur einzelne Studien betrachtet, könnte Koffein vor allem bei Menschen mit einer schlechten HRV eine positive Wirkung haben.
Koffein – Schutz für Diabetiker
Diabetiker haben häufig eine verminderte HRV, was bedeutet, dass sie ein erhöhtes Risiko haben, eine Herz-Kreislauf-Erkrankung zu entwickeln. In der Studie von Richardson und Kollegen wurde die Wirkung des Koffeins auf die HRV bei Typ-1-Diabetikern und gesunden Teilnehmern untersucht. Beide Gruppen nahmen über zwei Wochen zweimal täglich 250 Milligramm Koffein in Tablettenform ein – was etwa drei bis vier Tassen Filterkaffee pro Tag entspricht.
Die HRV wurde nach zwei Wochen gemessen. Bei beiden Gruppen hatte sich die HRV positiv verändert. Bei den Diabetikern war der sNN50 (spiegelt ähnlich wie der pNN50 die Aktivität des Parasympathikus wider) um 103 Prozent angestiegen und bei den gesunden Teilnehmer um 38 Prozent. Ähnlich positiv waren die Ergebnisse bei den Parametern der Frequenzanalyse. Der HF-Parameter war höher und der LF-Parameter niedriger als vor dem regelmäßigen Koffeinkonsum.
Ist der Morgenkaffee gut für HRV?
Ohne die morgendliche Dosis Koffein können die meisten von uns nur schwer in den Tag starten. Sie weckt die Lebensgeister. Eine bessere HRV wäre eine schöne Nebenwirkung. Jedoch lässt sich eine eindeutige Aussage nicht treffen. Es gibt Studien, die für den Konsum von Koffein sprechen und Studien, die ihm keine große Wirkung bescheinigen. Julian König und seine Kollegen kommen in ihrer Übersichtsarbeit zu dem Schluss, dass Koffein eher den Parasympathikus als den Sympathikus anregt. Er merkt in seinem Bericht an, dass die Wirkung wohl auch vom gesundheitlichen Zustand des Konsumenten abhängt. Aber nicht nur davon. In der Studie von Monda und seinen Kollegen wurde die Koffeinwirkung (75 Milligramm) bei den Teilnehmern in sitzender und liegender Körperhaltung untersucht. Sein Ergebnis spricht eindeutig für den Kaffee im Bett. Für alle, die sich jetzt gefreut haben, morgens länger liegen bleiben können, gibt es auch Gegenargumente. In einigen Studien konnte eine Wirkung nur während sportlicher Aktivitäten festgestellt werden.
Die Wirkung im Körper
Egal, ob Sympathikus oder Parasympathikus reagieren, Koffein macht etwas mit unserem Körper. Auf das vegetative Nervensystem (VNS) wirkt das Koffein wie eine milde Stimulanz: Das Herz schlägt schneller, der Puls erhöht sich, der Blutdruck steigt an, die Bronchien und Blutgefäße weiten sich. Unter dem Einfluss des Koffeins wird der gesamte Körper aktiviert. Aber nicht nur körperlich profitieren wir von dem Muntermacher, auch geistig hilft er uns: Stimmung, Leistungs-und Konzentrationsfähigkeit verbessern sich.
Die belebende Wirkung des Koffeins entsteht, weil es den Neuromodulator Adenosin bei seiner Arbeit im Gehirn behindert. Aktivierende Neurotransmitter wie z. B. Dopamin können durch die Schwächung des Adenosins vermehrt ausgeschüttet werden, was an den Synapsen zu einer verbesserten Erregungsweiterleitung von Impulsen führt.
Vor der HRV-Messung keinen Kaffee trinken
Die Wirkung auf das vegetative Nervensystem macht deutlich, warum Koffein nicht vor einer HRV-Messung konsumiert werden sollte. Am besten ist es, Klienten oder Patienten schon im Vorfeld auf den Zusammenhang aufmerksam zu machen. Aber bitte nicht vergessen, dass Koffein nicht nur im Kaffee (50 bis 100 mg pro 150 ml) enthalten ist, sondern auch im schwarzen oder grünen Tee (20 bis 60 mg pro 150 ml), Cola (32 bis 60 mg Koffein in 330 ml), Energy Drinks (ca. 80 mg pro 250 ml) und Halbbitterschokolade (ca.75 mg pro 100 g).
Auch wenn entkoffeinierter Kaffee fast kein Koffein enthält, gibt es eine Studie, die ihm eine kurzfristige Steigerung der parasympathischen Aktivität bescheinigt. In der Studie wurden Espressos mit und ohne Koffein sowie heißes Wasser gereicht. Eine positive Wirkung konnte bei allen Teilnehmern (auch bei den Wassertrinkern) beobachtet werden. Bei regelmäßigen Kaffeetrinkern war die Steigerung bei entkoffeiniertem Espresso allerdings geringer.
Wirkungsdauer des Koffeins
Für die Bewertung der HRV-Parameter ist es sinnvoll, die Wirkungsdauer des Koffeins zu berücksichtigen. Daran lässt sich in etwa abschätzen, wie die Messergebnisse von der verstrichenen Zeit nach der Koffeineinnahme abhängig sind.
Innerhalb von 45 Minuten wird das Koffein über den Magen-Darm-Trakt aufgenommen. Die höchsten Konzentrationen im Blutplasma sind nach 15 bis 120 Minuten erreicht. Die Blut-Hirn-Schranke passiert das Koffein nahezu ungehindert.
Bei der Einschätzung, wie lange die Koffeinwirkung anhält, hilft die Halbwertszeit des Koffeins. Die Verweildauer im Blut hängt stark vom Alter ab. 2,5 bis 5 Stunden beträgt die Halbwertszeit bei Jugendlichen und Erwachsenen, bei Säuglingen und Kleinkindern liegt sie bei bis zu 100 Stunden. Bei Rauchern verkürzt sie sich um 30 bis 50 Prozent. Verdoppeln kann sich die Halbwertszeit bei Frauen, die die Anti-Baby-Pille nehmen. Auch bei Schwangeren wird Koffein langsamer abgebaut.
In Bezug auf die HRV-Parameter gibt es von wissenschaftlicher Seite wieder ganz unterschiedliche Erkenntnisse. Sie reichen von keiner Veränderung auf die HRV bei regelmäßigen Kaffeetrinkern bis zu einer deutlichen Einflussnahme bei allen Konsumenten.
In einer indischen Studie mussten 35 gesunde Studenten auf nüchternen Magen gesüßten Instantkaffee mit 1,3 Milligramm Koffein trinken. Nach 30 Minuten war ihr High Frequency-Parameter erhöht, nach einer Stunde war der Koffein-Zauber schon wieder vorbei. Vielleicht lag es an der geringen Koffeinmenge, dass die Wirkung nur so kurz anhielt. In der bereits erwähnten Übersichtarbeit von Julian König und seinen Kollegen kann man sich auf “Table 3” die Mess-Details von den betrachteten Studien anschauen. In welchen zeitlichen Abständen die HRV gemessen wurde, hilft vielleicht auch bei der eigenen Einschätzung der Wirkung weiter. In der Studie von Monda und Kollegen beispielsweise wurde Espresso gereicht und nach 150 Minuten die HRV gemessen.
Wieviel Koffein ist gut für die HRV?
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) schätzt für gesunde Erwachsene bis zu 200 Milligramm Koffein als Einzeldosis als unbedenklich ein. Das sind, je nach Röstung und Zubereitung, zwei bis drei Tassen Kaffee am Tag. Kaffee-Junkies sollten über den Tag verteilt nicht mehr als 400 Milligramm zu sich nehmen.
Ganz ähnliche Erkenntnisse gibt es auch in Bezug auf die HRV-Parameter. In einer brasilianischen Kohortenstudie wurde der Einfluss des Koffeins auf die HRV bei über 15.000 Beamten mit einem Durchschnittsalter von 52 Jahren untersucht. In der Studie war alles vertreten: von kein Kaffee bis ganz viel am Tag. Beobachtet wurden die Staatsdiener über 12 Monate. Das Ergebnis für die Viel-Kaffeetrinker (drei oder mehr Tassen am Tag) mag im ersten Moment erschrecken: Der RMSSD-Parameter war um vier Prozent niedriger als bei den Teilnehmern, die wenig bis gar keinen Kaffee tranken. Da in der Studie auch andere Gewohnheiten abgefragt wurden, konnte bei den starken Kaffeetrinkern auch ein vermehrter Alkohol- und Nikotinkonsum festgestellt werden.
Das ist jedoch keine Entwarnung für Abstinenzler und Nichtraucher. Der Trend zu einer schlechten HRV bleibt, wenn zu viel Kaffee getrunken wird.